13 Tonnen Lebensmittel im Wert von rund 30 000 Mark befinden sich derzeit auf dem Weg in die künftige Ettlinger Partnerstadt Gatschina vor den Toren von Leningrad. Diesem ersten Transport der Deutsch-Russischen Gesellschaft Ettlingen sollen im Januar und im Frühjahr 1991 zwei weitere Hilfstransporte folgen. Die Spendenaufrufe der Ettlinger Gesellschaft waren bislang so erfolgreich, daß diese Hilfe finanziert werden konnte. Ursprünglich wollte die Stadt Ettlingen die Transportkosten der Hilfsgüter für die Partnerstadt übernehmen, aber der Unternehmer Alwin Jörger war schneller, er stellte kostenlos einen großen Lkw mit Anhänger zur Verfügung und bringt die Lebensmittel auch selbst nach Gatschina.
Im Alleingang fährt Alwin Jörger derzeit von Ettlingen über Warschau zur polnisch-russischen Grenze, wo er Begleitung erhält. Dort warten zwei streckenkundige Russen, einer davon deutsch sprechend und Ehrenmitglied der Deutsch-Russischen Gesellschaft Ettlingen, die den Transport sicher nach Gatschina leiten sollen. In Gatschina selbst erfolgt die Verteilung der Lebensmittel durch eine private Gesellschaft, die auch Lagerraum zur Verfügung stellt. Vor wenigen Tagen war eine Delegation des Ettlinger Vereins unter Führung des Vorsitzenden Dr. Rüdiger Dierkesmann in Gatschina, um die Organisation der Verteilung vor Ort abzuklären. „Die Gesellschaft gehört uns seit längerem gut bekannten und zuverlässigen Leuten, darunter der frühere Vizebürgermeister“ von Gatschina, die für eine korrekte und reibungslose Verteilung garantieren“, sagte Dr. Dierkesmann.
Gatschina ist eine 80 OOO-Einwohner-Stadt und daher müssen die Hilfsgüter geziehlt verteilt werden, flächendeckende Hilfe ist nicht möglich. Ausgewählt wurden deshalb in erster Linie Einrichtungen für Kinder wie Kinderheime, ein Schulinstitut und ein Waisenhaus aber auch ein Krankenhaus, ein Altenheim und eine Einrichtung der Russisch-Orthodoxen Kirche werden in den Genuss von Lebensmitteln kommen. Die Güter wurden sorgfältig ausgewählt und in größeren Mengen gezielt eingekauft. „Notwendig wäre alles, aber wir haben uns auf Grundnahrungsmittel, Konserven, Fette und auch etwas Schokolade für Kinder beschränkt, da dies momentan am wichtigsten ist“, erklärte Dr. Dierkesmann für die Organisatoren
Schon im Januar soll ein zweiter Transport folgen, der organisatorisch bereits weitgehend vorbereitet ist. Diesmal geht es aber nicht auf der Straße nach Rußland, sondern per Luftbrücke. Maschinen der Aeroflot haben eine Lande- und Startbewilligung für den kanadischen Militärflugplatz Söllingen erhalten und werden von dort weitere Hilfsgüter nach Leningrad bringen, von wo aus sie in das etwa 60 Kilometer entfernte Gatschina transportiert werden. Dieser Transport soll dann auch Vitamintabletten und -pulver mitnehmen was insbesondere für Kinder wichtig ist da es kaum Obst oder andere vitaminreiche Nahrung gibt. Aber auch Kleidung, Seife, Babynahrung und ähnliches werden mitgeführt. Für den dritten Transport der voraussichtlich im Februar/März startet hat ein großes Karlsruher Automobilunternehmen einen Lkw zugesagt. Beide Transporte werden von Mitgliedern der Deutsch-Russischen Gesellschaft bzw. russisch sprechenden Deutschen begleitet. „Unsere Aktionen können nur Zeichen des guten Willens sein und sollen auch eine Hilfe zur Stabilisierung der politischen Lage bringen“, erklärte Lutz Voss für die Organisatoren der Deutsch-Russischen Gesellschaft.
Die Spendenbereitschaft für diese örtliche Russlandhilfe war bislang überwältigend rund 70.000 Mark sind auf dem Spendenkonto eingegangen und ermöglichen so gezielte Hilfe. Zahlreiche Ettlinger Bürger haben gespendet, die Gewerbeverein Mitglieder und die Rotarier haben namhafte Beträge übergeben, es gab und gibt Aktionen wie Preisskat zugunsten der Gatschina-Hilfe, die Künstler der Wilhelmshöhe haben mit einer Sonderausstellung einen fünfstelligen Betrag zusammengetragen und auch in Schulen wurden gesammelt, so die Anne- Frank-Realschule, die Hans-Thoma-Realschule Spessart und die Schillerschule. Die Liste der Spender ist lange und kann nur unvollständig sein.
Aber auch in Sachen Partnerschaft kommt Bewegung auf. Nachdem sowohl der Gemeinderat in Ettlingen als auch der zuständige Stadtsowjet in Gatschina sich für die Partnerschaft ausgesprochen haben, fehlt eigentlich nur noch der offizielle Akt der Urkundenunterzeichnung. Im Januar wird eine hochrangige Delegation aus Gatschina nach Ettlingen kommen, eingeladen von der Deutsch-Russischen Gesellschaft. Möglicherweise bietet sich dieser Besuch für den offiziellen Akt an, oder ist zumindest Gelegenheit, diesen nun abzusprechen.
Die Deutsch-Russische Gesellschaft organisiert im Gegenzug zwei Fahrten nach Gatschina. Die erste Reise, mit Besuchen in Moskau und Leningrad, ist vom 10. bis 17. Februar 1991 vorgesehen. Anmeldungen dazu sind beim „ACE“ in Karlsruhe, Ettlinger Straße 3 a, Telefon (0721-)60 78 76, möglich. Eine zweite Reise soll per Bus während der Pfingstferien stattfinden. Auch die Spendenaktion für Gatschina läuft weiter. Spenden können auf nachfolgende Konten eingezahlt werden: Volksbank Ettlingen Bankleitzahl (660 912 00) Konto 65 29 03 und Sparkasse Ettlingen (Bankleitzahl 660 512 20) Konto 10 44 11 4.
Einen Auftrag hat die Deutsch-Russische Gesellschaft für ihren nächsten Gatschina Aufenthalt bereits im Gepäck, denn Schüler und Lehrer der Wilhelm-Röpke-Schule Ettlingen sind auf der Suche nach einer Partnerschule in Gatschina und dies soll vorbereitet werden.
BNN, Redaktionsmitglied Ulrich Krawutschke