Vom Pariser Trödelmarkt in den Paradesalon des Zaren
Nach einer Odyssee von über 50 Jahren kam Relief von Maria Fjodorowna ins Schloß Gatschina zurück
Ettlingen/Baden-Baden/Gatschina. Schöne Geschenke sind die unerwarteten, die durch eine glückliche Fügung entstehen und wie eine Sternschnuppe vom Himmel fallen. 1996 erhielt das Schloß in Gatschina ein Kunstwerk, einen Frauenkopf der Zarengattin Maria Fjodorowna, nach langer Odyssee zurück. Es war seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen. Ohne die Städtepartnerschaft zwischen Gatschina und Ettlingen wäre der Platz des Kunstwerkes noch heute im Schloß Gatschina leer.
Maria Fjodorowna, aus dem Hause Württemberg stammende Prinzessin Sophie Dorothea, war eine begabte Künstlerin. Kronleuchter, Gemälde und Zeichnungen entstanden aus ihren geschickten Händen. Zum 40. Geburtstag schenkte sie ihrem Mann Zar Paul, den „Frauenkopf“, ein selbstgefertigtes, wertvolles ovales Wachsrelief. Aus roter Wachsmasse ziselierte die schwäbische Zarengattin ein Selbstbildnis. Gatte Paul war so begeistert, daß er im Schloß seiner Residenz Gatschina das Porträt seiner Gattin im Paradesalon auf hängen ließ.
Das Schloß Gatschina, 40 Kilometer südlich von Sankt Petersburg gelegen, galt bis zum Zweiten Weltkrieg als „Vorort-Hermitage“. Über 84 000 Exponate waren in dem nach dem Winterpalast größten Schloß Rußlands untergebracht. Es hatte eine der größten Sammlungen an chinesischem und japanischem Porzellan in Europa. Bekannte europäische Maler aus vielen Jahrhunderten waren mit ihren Gemälden in den über 500 Zimmer zählenden Schloßräumen vertreten.
Bis zum Ende der Zarenzeit war das Schloß im Privatbesitz der Zarenfamilie und damit für den Bürger nicht zugänglich. Dies änderte sich unter der sozialdemokratischen Kerenskij-Regierung und kurz darauf mit der Oktoberrevolution. Das Schloß war jetzt Museum. Erster Direktor war Graf Valentin Subow, Ahn einer berühmten Adelsfamilie. Nach seinem Studium an der Universität in Heidelberg begründete er in Sankt Petersburg das erste Institut für Kunstgeschichte im Zarenreich. 1925 emigrierte Graf Subow aus Unzufriedenheit über die Herrschaft der Bolschewiken nach Westeuropa. Er sah Rußland nie wieder.
Frür sein Museum in Gatschina kam die schlimmste Zeit mit der Belagerung von Leningrad durch deutsche Truppen. Als die deutschen Panzerspitzen Gatschina erreichten, gelang es von den 84 000 Exponaten gerade noch 12 000 Exemplare in Sicherheit zu bringen. Das Schloß Gatschina wurde deutsches Lazarett. Als 1944 die Rote Armee einrückte, waren gerade noch 3 000 Exponate aufzufinden. Alles andere war in den Kriegswirren untergegangen. Was von deutscher Seite mit der Eisenbahn abtransportiert wurde, war später nicht mehr festzustellen.
Das Relief der Maria Fjodorowna war
Das Relief der Maria Fjodorowna war ebenfalls verschwunden. 1946 ging Graf Subow über einen Pariser Trödelmarkt. Er traute seinen Augen nicht. Dort hing ein Exponat aus dem Schloß Gatschina, das er sofort kannte. Das besagte Selbstporträt der Zarengattin. Die Inventarnummer vom Museum in Gatschina auf der Rückseite bewies eindeutig die Herkunft. Der ehemalige Museumsdirektor erwarb das Relief. Ein deutscher Besatzungssoldat, der zuvor in Gatschina diente, hatte das Stück für ein paar Sous verhökert. Auf die Rückseite seines Fundes schrieb Graf Subow „Erst zurückgeben, wenn sich das politische Regime in Rußland geändert hat“.
Nach dem Ableben von Graf Subow ging das Portrait an seine Tochter Dr. Anastasia Becker, die heute 87jährig in Baden-Baden lebt, über. In ihrer Wohnung erhielt es einen besonderen Platz. Durch die Partnerschaft Ettlingens mit Gatschina kam 1993 Elena Mescherjakova nach Deutschland. Sie war Mitarbeiterin des Museums in Gatschina. Durch eine glückliche Fügung lernten sich die beiden Damen kennen. Sie verstanden sich glänzend. Gab es doch durch die frühere Tätigkeit des Vaters von Dr. Anastasia Becker im Museum des Schlosses Gatschina jede Menge Gesprächsstoff. Für die russische Museumsmitarbeiterin schloß sich ein weißer Fleck auf der Landkarte „Geschichte des Museums Gatschina“.
1996 lud Anastasia Becker ihre neue Freundin zum Kaffeekränzchen ein. Sie wartete mit einer kleinen Sensation auf: Das Relief der Maria Fjodorowna. Die Baden-Badnerin fragte die Bürgerin aus Gatschina, ob sie bei ihrer nächsten Rußlandreise den „Frauenkopf“ mitnehme. So kam nach mehr als 50 Jahren die „Beutekunst wieder nach Gatschina zurück. Rechtzeitig zum 200. Jubiläum der Stadt bei Sankt Petersburg.
Die Rückgabe des schmucken Stückes wurde von Fernsehen und Zeitungen als Zeichen der neuen Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland gefeiert. Als Hauptkonservatorin Adelaide Joikina im Beisein des Bürgermeisters das Relief entgegennahm, war jeder Zweifel der Echtheit ausgeschlossen. Die Nummern der Inventarliste des Museums von 1921 war mit der аuf der Rückseite des privaten Bildes identisch. Das Geschenk der schwäbischen Zarengattin für Paul I. war an den angestammten Platz zurückgekehrt. Jetzt wird es in der Hermitage erst einmal restauriert.
BNN Johannes-Christoph Weis