„Sanktionen als Mittel der Konfliktpolitik? – Auswirkungen auf die russische Zivilgesellschaft“
Vortrag mit Diskussion am Dienstag, 31. Mai, um 19 Uhr in der Scheune, Pforzheimer Straße 31b.
Es ist gut zwei Jahre her, dass im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise umfangreiche Sanktionen westlicher Staaten gegen russische Unternehmen und Zivilpersonen verhängt worden sind. Die Deutsch-Russische Gesellschaft hält die Zeit für gekommen, die Auswirkungen, insbesondere auf die russische Zivilgesellschaft zu hinterfragen. Dazu hat die DRG mit Herrn Dr. Gerd Lenga einen kompetenten Kenner der Materie eingeladen.
Dr. Lenga ist Philologe, Psychologe und Jurist. Nach seinem Studium der Slawistik, Germanistik und Psychologie in Tübingen und Warschau war er Leiter eines psycholinguistischen Forschungsprojekts an der Universität Tübingen. Die durch unmittelbare Erfahrung geprägten Ausführungen des Referenten werden dazu einen interessanten Maßstab abgeben.
Die wegen der Ukraine-Krise von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen sind nicht nur demokratisch unlegitimiert und völkerrechtswidrig/sie werden auch „nichts bringen“. Da ist sich Dr. Gerd Lenga sicher. Der Russland-Kenner war jetzt von der Deutsch-Russischen Gesellschaft in die Scheune eingeladen worden, Thema: „Sanktionen als Mittel der Konfliktpolitik?“ Rund 40 Besucher hörten zu.
Weil nur von der Europäischen Kommission verordnet, sind die Sanktionen laut Lenga nicht demokratisch beschlossen worden. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, hätte es nach Ansicht des Philologen, Psychologen und Juristen, der lange auch für deutsche Unternehmen in Russland tätig war, keine der gewünschten Folgen, in 70 Prozent der Fälle bewirkten solche Maßnahmen nichts.
Zwar sei der Lebensstandard in dem Land tatsächlich gesunken, aber davon seien vor allem schon bisher sozial Benachteiligte betroffen, so Lenga. Es gebe „keine leeren Regale“, allenfalls sei die Qualität geringer geworden. Längst komme der Käse aus Weißrussland, das Gemüse aus Südamerika. Diese Märkte seien für europäische Landwirte schwer zurückzugewinnen.
Im Übrigen sieht Lenga hinter den Sanktionen Europas die USA, die selbst weit weniger Wirtschaftsstrafen aussprächen, so sei für eine aus dem Rennen geworfene deutsche Firma nun eine amerikanische in Russland aktiv. Doch verhielten sich die deutschen Massenmedien in diesen Fragen „so konform“, dass solche Dinge nicht erörtert würden, so der Redner, der auch einen ihn an DDR- Verhältnisse erinnernden „Primat der Politik“ beklagte. Dabei besitze auch die Wirtschaft Kompetenzen.
Auch jüngste Umfragen mit hohen Zustimmungswerten für die russische Regierung bestätigten, dass die Ein- und Ausfuhrverbote „keinerlei Auswirkungen auf die politische Akzeptanz“ hätten, erklärte Lenga. Damit seien sie gescheitert. Schon die Ziele der Strafen hielt der Russland-Experte für irreal. Die Rückgabe der Krim? „Das ist vorbei.“ Und was sei eigentlich mit dem von der Türkei besetzten Norden Zyperns? Und mit dem von der Nato „in sieben Teile zerbombten Jugoslawien?“
Man dürfe in Bezug auf Russland nicht mit unterschiedlichem Maßstab messen, forderte Lenga. Und setzte, um die russische Sicht der Dinge bemüht, weitere Fragezeichen hinter die Revolution auf dem Majdan, die westlich beeinflusste Regierungsbildung in Kiew, den Abschuss des malaysischen Flugzeugs: „Unsere Politiker haben versagt“, stellte der Vortragende fest.
„Es bleiben die Zivilgesellschaften“, setzte Lenga Hoffnung auch in Organisationen wie den Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften mit seinen privaten
Kontakten. Auch die deutsche Wirtschaft in Russland könne hier wirken, wieder in Dialog zu kommen. „Ich bin überzeugt, dass unser System besser ist“, betonte Lenga. Aber dies müsse in persönlichen Beziehungen vermittelt werden. „Mit der Peitsche geht das nicht.“ Und er schloss mit einer Einsicht des früheren Außenministers Hans-Diet- rich Genscher: „Ohne Russland keine politische Stabilität in Europa.“