Wird Kreis der Partnerstädte 1990 erweitert?

Ettlingen (kg) Das Jahr 1990 könnte für die Große Kreisstadt Ettlingen zu einem Jahr der Städtepartnerschaft werden, denn zu der sowje­tischen Stadt Gatschina, vor den Toren Lenin­grads gelegen, sind Verbindungen aufgenommen worden, nachdem der Gemeinderat Oberbürger­meister Josef Offele hierzu beauftragt hat. Nun bleibt abzuwarten, welche Antwort aus Gatschi­na erfolgt, wo Mitglieder der deutsch-sowjeti­schen Gesellschaft Ettlingen, angeführt von Stadtrat Dr. Rüdiger Dierkesmann, bei einem Besuch erste Gespräche geführt und dabei eine durchweg positive Resonanz gefunden haben.

Ettlingen strebt aber auch schon seit Jahren übrigens von allen im Gemeinderat vertretenen Parteien gleichermaßen befürwortet – die Part­nerschaft mit einer Stadt in der DDR an. Die Bemühungen waren lange vergeblich, die veränderten politischen Verhältnisse jedoch stimmen zuversichtlich, daß es gelingt, eine Partnerstadt zu finden. Die Kreisstadt Löbau im Lausnitzer Bergland ist im Gespräch, wurde als möglicher Partner vorgeschlagen. Und zwar Mitte Dezem­ber, als der baden-württembergische Minister­präsident Lothar Späth mit einer Delegation, der auch Ettlingens früherer OB und heutiger Umweltminister Dr. Erwin Vetter angehörte, in Dresden weilte und dort Gespräche führte. Der amtierende DDR-Ministerpräsident Hans Mo­drow und der Dresdener Oberbürgermeister  Wolfgang Berghofer, zugleich stellvertretender Vorsitzender der SED, taten dabei kund, daß sie einer Partnerschaft zwischen Ettlingen und Löbau zustimmen würden. Zwischenzeitlich ist Josef Offele aktiv geworden und sucht Verbindung mit seinem Amtskollegen in Löbau. Auch in diesem Falle bleibt nun abzuwarten, wohin diese Partnerschaftsbemühungen im kommende Jahr führen.

(BNN vom 1. Januar 1990)

Gatschina vor den Toren Leningrads ist die Wunschstadt

Der Ettlinger Gemeinderat hat die Weichen für eine weitere Städtepartnerschaft gestellt, hat mit der Wahl einer sowjetischen Stadt deutlich gemacht, daß der Europagedanke nicht am „eisernen Vorhang“ endet. Nachdem die deutsch-sowjetische Gesellschaft Ettlingen bei einem Rußlandbesuch drei Städte „bewertet“ hatte, die für eine Partnerschaft geeignet wären, fiel die Wahl auf das vor den Toren von Leningrad liegende Gatschina (Gatschina).

Vor der Fahrt hatte eine Arbeitsgruppe Kriterien erstellt, wie Oberbürgermeister Josef Offele dem Gemeinderat erläuterte, die für eine funktionierende Partnerschaft wichtig sind. Dazu zählten unter anderem die verkehrsmäßige Erreichbarkeit (Flugplatznähe), strukturelle und historisch vergleichbare Entwicklungen und daß die Wunschstadt nicht zuviele Partnerschaften hat. Alle diese Kriterien werden von Gatschina in hohem Maße erfüllt. Die 84 000 Einwohner zählende Stadt ist historisch gewachsen im ohnehin traditionsreichen Raum Leningrad und liegt nur 20 Kilometer vom Leningrader Flughafen Pulkovo entfernt.

Gatschina ist eine aufstrebende Industriestadt, wobei die Leichtindustrie überwiegt. Sie verfügt über eine gute Infrastruktur mit Forschungsinstituten (Physik), zehn Schulen, fünf Gewerbeschulen und zwei Musikschulen. Durch Bahn- und Buslinien gibt es direkte und gute Verbindungen zum 40 Kilometer entfernten Leningrad. Partnerschaften bestehen bereits mit der Stadt Espoo in Finnland und einer schottischen Kleinstadt. Wissenschaftliche Zusammenarbeit gibt es mit Schweden, Finnland und den USA. Gatschina ist also weltoffen und in vielen Bereichen mit Ettlingen vergleichbar. Die größere Einwohnerzahl (Städte in der Ettlinger Einwohnergröße gibt es kaum) spielt da nur eine untergeordnete Rolle.

Ähnlich wie Ettlingen ist Gatschina historisch gewachsen und sah schon mehrere „Herrscher“. Schon im 15. Jahrhundert ist ein Dorf Chotcino bekannt, zu Beginn des 18. Jahrhunderts ist die Namensform Gatcina belegt. 1712 schenkte Peter der Große das Dorf seiner Schwester Natalja Alekseevna, 1765 bekam Graf Orlov, ein Günstling Katharinas II., das Dorf übertragen.

Von 1766 bis 1781 wurde am Ufer des silbernen Sees vom italienischen Architekten Rinaldi ein Palast erbaut und gleichzeitig ein englischer Park angelegt. Ab 1780 wurde unter Paul I. das Gelände erweitert, und auf 163 Hektar entstanden ein Botanischer Garten und ein Schloßgarten. Im Park wurden Pavillons gebaut und ein Tiergehege angelegt, in dem jagdbares Wild wie Rentiere und Büffel gehalten wurden. Im 18. und  19. Jahrhundert umfaßte der Park rund 700 Hektar. Der Palast von Gatschina besteht aus einem dreistöckigen Korpus und zwei fünfeckigen Türmen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Palast umgestaltet und enthielt dann 547 Räume die bis 1941 als Museum dienten. 1944 wurde er beim Rückzug der deutschen Truppen in Brand gesetzt. Seit 1976 laufen jetzt die Renovierungsarbeiten.

Gatschina,  so befand auch der Gemeinderat, ist in seiner Entwicklung eine mit Ettlingen gut vergleichbare Stadt und daher für eine Partnerschaft bestens geeignet, zumal wie Stadtrat Dr. Dierkesmann erläuterte auch großes Interesse an einer Partnerschaft gezeigt wurde. Die Reisegruppe war auf eigene Kosten, aber mit städtischem „Sichtungsauftrag“ im Gepäck in Gatschina und knüpfte erste Kontakte.

 Oberbürgermeister Josef Offene wurde vom Gemeinderat einstimmig beauftragt, die Partnerschaftsbemühungen mit Gatschina intensiv weiterzubetreiben. Kontakte sollen nun mit dem Präsidenten des Sowjets In Gatschina (vergleichbar dem Oberbürgermeister), mit der sowjetischen Botschaft und mit der offiziellen sowjetischen Vermittlungsstelle für Partnerschaften aufgenommen werden. Der Präsident des Sowjet in Gatschina soll zu einem Besuch in Ettlingen eingeladen werden, um einen Eindruck von der möglichen Partnerstadt zu bekommen.

Die Ettlinger Bemühungen um eine Partnerschaft mit einer sowjetischen Stadt haben aber auch negative Begleiterscheinungen wie der Oberbürgermeister nicht verschwieg, denn „je intensiver Beschäftigung mit der Sowjetunion wird, umso mehr werden von der DDR die Ettlinger Partnerschaftsbemühungen dorthin abgeschottet.“

BNN, Ulrich Krawutschke

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