50 Jahre nach Kriegsende

50 Jahre nach Kriegsende Gemeinsame Veranstaltung für den Frieden in Europa gegen das Vergessen

 

Die Stadt Ettlingen halte gemeinsam mit der Deutsch-Russi­schen Gesellschaft, dem Clevedon-Etllinger Freundschafts­verein und den für den Austausch mit Epernay verantwortli­chen Institutionen zu einer Veranstaltung in den Rittersaal des Ettlinger Schlosses geladen.

Der Vorsitzende der Deutsch-Russischen Gesellschaft, Dr. Dierkesmann, wies in seiner Begrüßung auf die Gefahren hin, die die heutige „Konjunktur der Buchhalter“ mit sich bringe: Der Versuch, Tote durch Aufrechnen wegzuradieren könne aber ebensowenig akzeptiert werden wie der Hinweis, daß auch andere Kriegsparteien getötet hätten. Leid dürfe nicht gegen Leid, Greuel nicht gegen Greuel aufgerechnet werden, wie es sinngemäß auch Bundespräsident Roman Herzog aus­gedrückt habe, so Dr. Dierkesmann. Auch der Ruf nach dem Vergessen solle und dürfe nicht gehört werden, fuhr der Vor­sitzende fort; schließlich gehe es um die Unbeteiligten, dieje­nigen, die ohne persönliche Schuld blieben und doch unend­lich viel Leid ertragen mußten. Zur Schaffung einer „Ethik der Erinnerung“ rief Dierkesmann auf und führte die Städte­partnerschaften an, mithin ein Mittel „gegen das Vergessen, aber für die Versöhnung“. Es handle sich bei diesen Partner­schaften um die wirksamste Friedensbewegung überhaupt. Der Krieg könne im übrigen nie das vielbeschworene „Feld der Ehre“ sein, sondern immer nur das „Feld der Barbarei“, nichts weiter. Daher gebe es auch niemals Sieger und Be­siegte, alle vom Kriege Betroffenen seien nur Verlierer, dies gelte auch für die Städtepartner Ettlingens, besonders jedoch für die Polen und Russen. Daher habe man zur Veranstaltung zum Kriegsende im Ettlinger Schloß Zeitzeugen geladen, die mit eigenen Worten ihre Erinnerungen an die schreckliche Zeit schildern sollten, schloß Dr. Dierkesmann seine einfüh­renden Worte, nachdem er den anwesenden Gemeinderats­mitgliedern, Landtags- und Bundestagsabgeordneten für ihre Arbeit im Dienste der Demokratie gedankt halte.

Bürgermeister Reinhard Frank sprach von einer „symbolhaf­ten Veranstaltung“, initiiert auch von den Partnerstädten Ett­lingens, die noch vor 50 Jahren die erbitterten Feinde gewe­sen seien.

Der Wonnemonat Mai vor 50 Jahren habe keinen Gedanken an Frühling und Lebenslust aufkommen lassen, so Frank; vom Kriege übriggeblieben sei vielmehr ein „Meer von Tränen und Leid“, darin 55 Millionen Tote. Aber auch die Hoffnung auf Frieden, das Wissen um die Befreiung verbinde sich mit dem Mai 1945 in der Erinnerung, die nicht zerredet werden dürfe, fuhr der Bürgermeister fort. „Überlebenswichtig“ sei diese Erinnerung vor allem für die heutigen Generationen, die ihre Augen vor dem Gewesenen nicht verschließen dürften, schließlich erwuchsen der Zusammenbruch und die Beset­zung des Vaterlandes letztendlich aus einem von Deutschland entfesselten Weltkriege.

All jenen sollte in einer solchen Stunde auch gedacht werden, die, durch den Krieg zur Flucht gezwungen, nicht nur ihr Hab und-Gut, sondern auch die Heimat, das Leben verloren.

920 Tote hatte Ettlingen zu beklagen, auch für sie wurde unter dem Kriegsdenkmal von Oskar Alexander Kiefer am Rat­hausturm eine weitere Tafel angebracht, die an den Zweiten Weltkrieg erinnern soll. „Der 8. Mai 1945 steht auch für das Ende der Angst, für den Anfang einer neuen Hoffnung am tiefsten Punkt der deutschen Geschichte, am Beginn auch der längsten Friedensperiode in Deutschland“, führte Reinhard Frank aus. Bereits acht Jahre nach Kriegsende reichten sich Epernayer und Ettlinger Bürger die Hände zur Versöhnung; aus ehemaligen Feinden seien seit dieser Zeit Partner und schließlich Freunde geworden und hätten so zu einer dauer­haften Völkergemeinschaft beigetragen mit dem Ziel, die Schrecken eines Krieges künftig zu vermeiden.

Als Repräsentant der Epernayer Kriegsteilnehmer drückte Monsieur Jacquet, der in deutschen Gefangenenlagern inter­niert gewesen war, seine Hoffnung aus, daß auch in Zukunft die feste Freundschaft zwischen den beiden Städten anhal­ten möge.

Nina Jefimova und Nina Rajkova aus St. Petersburg berichte­ten als Zeitzeuginnen der 900 Tage währenden Blockade des ehemaligen Leningrad durch die deutsche Wehrmacht von den grausamen Entbehrungen in der belagerten Stadt: Ohne Wasser, ohne Wärme oder Strom sei doch das schlimmste von allem der Hunger gewesen, der so weit geführt habe, daß es am Ende in der ganzen Stadt weder Hunde noch Katzen gab. Drei Millionen Opfer habe die Blockade letztendlich gefor­dert, so Nina Jefikova; vor allem der Mütter sollte man rück­blickend gedenken. Auch die dritte Nachkriegsgeneration sei noch vom Kriege gezeichnet, schon deshalb dürfe man nicht vergessen.

Anschließend sprachen die vier Vertreter der großen mono­theistischen Religionsgemeinschaften, der Cantor der jüdi­schen Gemeinde Karlsruhe, Chaim Wallach, Pfarrer Möhrlein für die evangelische, Dekan Bier für die katholische Kirche und der islamische Theologe Fatimi Hussein für den Islam gemeinsam Psalm 122.

Amtsblatt Ettlingen, 11.Mai 1995

Schülerinnen und Schüler der Thiebauth-Schule sangen zum Abschluß der Veranstaltung zusammen mit den Religionsvertretern und den Zeitzeugen das Lied "Nehmt Abschied Brüder".

Eine „Ethik der Erinnerung und des Nichtvergessens“ verlange die Erinnerung in den 8. Mai 1945, dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismusses. Der Rückblick dürfe nicht buchhalterischem Aufrechnen gleichen, der Tag solle vielmehr vor dem Vergessen wahren, eingebunden in einen Appell zur Versöhnung, Vergebung und Mitmenschlichkeit. So Dr. Rüdiger Dierkesmann am Sonntag Vormittag im Rittersaal des Ettlinger Schlosses bei einer gemeinsamen Feierstunde der Stadt, der deutsch-russischen Gesellschaft, des Clevedon-Ettlinger-Freundschaftskreises und den Freunden der Ettlinger Städtepartnerschaften insgesamt.

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