Eine humanitäre Hilfe in großem Stil

Medikamente, Kleider und Lebensmittel für bedürftige Menschen/Viele Pakete

Von unserem Redaktionsmitglied

Johannes Christoph Weis

Ettlingen. Die Aktion „Polizei hilft“ läuft: Die fünf Fahrzeuge befinden sich heute nach der Schiffspassage von Stockholm nach Helsinki auf der Fahrt Richtung russischer Grenze. Dort werden sie am Grenzpunkt Wyborg vom Polizei­chef der Ettlinger Partnerstadt Gatschina, Ivan Markakin, erwartet. (Wir berichteten)

Mit einer gewissen Spannung sieht man in Ettlingen den Ereignissen dieses erstmals in großem Stil organisierten humanitären Hilfs­transportes entgegen. Es geht schlicht um die Frage, gelangen die Spenden auch dorthin, wo die bedürftigsten Menschen in Gatschina leben. Erst die Verteilung vor Ort wird zeigen, ob dies auch in der gewünschten Form geschieht. Dazu haben sich die Organisatoren in Ettlingen mit Polizeihauptkommissar Albert Wanner an der Spitze einiges einfallen lassen.

So erhalten völlig unterschiedliche Einrich­tungen in der 90 000 Einwohner zählenden rus­sischen Partnerstadt Hilfsgüter. An das Kran­kenhaus ist genauso gedacht worden wie an Al­tenheime, Kindergärten, Schulen oder die Kir­che. „Damit nicht die Falschen Pakete erhalten, wollen wir die Zeit in Gatschina nutzen, mög­lichst vielen die Spende direkt in die Hand zu geben“, sagte Albert Wanner kurz vor der Ab­fahrt.

Kollege Günter Cramer, Revierleiter in Ettlin­gen, der ebenso wie sein Vorgänger Hans Mücke auf der Fahrt mit dabei ist, will, daß die Hilfs­aktion möglichst mit System abläuft: „Die Qua­lität unseres Transport soll darin bestehen, daß es keine Eintagsfliege ist“. Die Polizei wolle re­gelmäßig, vielleicht sogar im Abstand von sechs Monaten, Hilfsgüter nach Gatschina bringen. Das Problem sei natürlich, daß für die Polizei­kollegen dabei eine Menge an Arbeit anfalle. Er könne nicht jedes Mal verlangen, daß die Poli­zeifamilien Wolf und Wanner in dem zeitlichen Umfang Pakete schnürten und mit den passen­den Adressen versehen.

Wochenlang seien die von der Ettlinger Bevöl­kerung eingehenden Spenden sortiert und ge­richtet worden. Fast 40 Tonnen an Material sei­en kein „Pappenstiel“, sondern nur mit kno­chenharter Arbeit zu bewältigen. So sind jetzt mehrere Tonnen Lebensmittel von Öl bis zu Mehl und Kindernahrung unterwegs. Dazu kom­men mindestens 20 Tonnen an fast neuwertiger Kleidung. Dazu kommen drei Kubikmeter Bett­wäsche, 800 Decken und tausend Handtücher. Allein das Klinikum in der Stadt erhält etwa drei Tonnen an Medikamenten. Dabei sind au­ßer Tabletten und Salben, Seren und Blutersatz. Dazu kommen Einwegspritzen und Verbands­material. Unterwegs nahm ein Lastwagen 50 Krankenhausbetten mit Matratzen auf. „Ohne die Bundeswehr wäre diese Hilfeleistung in dem Umfang kaum möglich gewesen“, lobt Albert Wanner die Unterstützung durch verschiedene deutsche Militärstellen.

Wichtige Beiträge leisteten auch Ettlinger Un­ternehmen. So gab es von Eto Trockensuppen, von Bardusch Handtücher. Rittersport und Ra­chengold

und Milupa, nicht in Ettlingen ansäs­sig, standen ebenfalls nicht zurück. Zur Finan­zierung dieses Transportes trugen sie wie die Firma Lorenz (Liebherr) und fast alle Ettlinger Geldinstitute bei.

Ebenfalls mit an Bord waren Schüler, Eltern und Lehrer des Albertus-Magnus-Gymnasiums, die eifrig persönliche Pakete für Familien in Gatschina zusammenstellten. Beispielhaft dabei Malwine Meyer, geschäftsführende Inhaberin der Internationalen Spedition Meyer in Ettlin­gen, die einen 40-Tonnen-Lastzug zu Verfügung stellte, obwohl das vorgesehenen Fahrzeug kurz­fristig ausfiel. Sie mietete kurzfristig auf eigene Kosten ein Ersatzfahrzeug an, um das gegen­über der Polizei gegebene Wort einzulösen. Mit­beteiligt auch die Speditionen Betz und Trans­port Service Fidelitas.

Im Kuratorium der Aktion „Polizei hilft“ ist auch die Deutsch-Russische Gesellschaft wie die Miliz aus Gatschina mit einer Stimme vertreten. Vorsitzender Rüdiger Dierkesmann hofft nach einem Erfolg des Hilfstransportes auf eine ähn­liche Spendenfreudigkeit in Sachen des Ettlin­ger Großprojekt „Milchküche“. Das Gebäude sei jetzt, wie er von der Stadtverwaltung Gatschina erfahren habe, fertiggestellt. Was jetzt noch feh­le sei die technische Ausrüstung der „Milchzen­trale“. Die Ettlinger Polizei will sich bei ihrem Besuch in Gatschina vom Baufortschritt der „Milchküche“ überzeugen. Davon wird abhän­gen, für was die Einnahmen eines Benefizkonzer­tes der Polizei im kommenden Mai verwendet werden.

 

Aktion „Polizei hilft“
Transport auf Vogelfluglinie

Ettlingen (jcw). Die Nacht hielt die Männer der Polizei nicht ab: Um 1.15 Uhr am Montag morgen startete der große Hilfstransport in die russische Partnerstadt Gatschina. Neun Polizisten, ein Feuerwehrmann und eine Dolmetscherin machten sich auf den Weg Richtung Sankt Petersburg. 35 Tonnen Hilfsgüter, soviel wie nie zuvor, verließen dank der Aktion „Polizei hilft“ und der spendenfreudigen Ettlinger Bevölkerung den Hof der alten Stadtwerke am Rohrackerweg.
Auf drei Lastwagen wird die wertvolle Fracht über die Vogelfluglinie nach Sankt Petersburg transportiert. Ein Kleinbus und ein Feuerwehrfahrzeug – ein Geschenk für die russische Partnerstadt – komplettieren den Troß. Drei große Speditionsunternehmen, die Internationale Spedition Meyer, die Firma Betz und Transport Service Fidelitas, hatten Fahrzeuge kostenlos für die Hilfsaktion zur Verfügung gestellt.
Die organisatorische Leitung des Hilfstransportes liegt in den Händen von Polizeihauptkommissar Albert Wanner, während Oberbürgermeister Josef Offele und Polizeipräsidentin Hildegard Gericke die Schirmherrschaft übernommen haben. Gestern abend waren die Lastwagen bereits in Schweden.

Polizisten brachten 35 Tonnen Spenden in die russische Partnerstadt

„Selbst Zweifler haben wir überzeugt“

Ettlingen (jcw/li). „Ende gut, alles gut“, so könnte die Bilanz des großangelegten Hilfs­transportes der Polizei in Ettlingens russische Partnerstadt Gatschina lauten. Voller Stolz prä­sentierten jetzt Ettlingens Revierleiter Günter Cramer und Organisator Polizeihauptkommissar ‚ Albert Wanner die Zahlen: So viele Menschen wie noch nie bei einem Transport nach Gatschi­na erhielten Pakete.

Kleider, Lebensmittel gingen an 700 Überlebende der Leningrader Blockade, 500 ehemalige KZ-Insassen freuten sich ebenso über Unter­stützung wie 500 Bewohner von Alten- und Behindertenheimen. 700 alleinstehende Mütter nahmen für ihre Kinder Kinderschuhe oder -mäntel entgegen. Große Freude rief die speziel­le, tonnenweise mitgebrachte Babynahrung her­vor. 30 Frauen, die für einen Hungerlohn im Schloß Gatschina arbeiten, gehörten ebenfalls zu den Empfängern der Ware aus Ettlingen. Die Fördergemeinschaft der Wilhelm-Röpke-Schule hatte ebenso wie das Albertus-Magnus-Gymnasium Kartons für die Partnerschule vorbereitet.

Organisator Albert Wanner meinte, daß es nur aufgrund der Spendenfreude der Bevölkerung von Ettlingen und Umgebung möglich gewesen sei, einen Transport mit einem Gewicht von mehr als 35 Tonnen zu organisieren. Dabei lobte er besonders die Vielzahl an Gewerbe- und In­dustrieunternehmen – mehr als 50 aus ganz Deutschland – die ihr Scherflein zum Gelingen des Unternehmens beitrugen.

Revierleiter Günter Cramer wollte den Wert der Ware nicht genau beziffern. Man könne aber von mehr als 400 000 Mark ausgehen. Allein die für das Krankenhaus mitgebrachten Medika­mente hätten einen Verkaufswert von mehr als 100 000 Mark gehabt. Nicht mit einbezogen in die Rechnung wurde das von der Ettlinger Feu­erwehr gestiftete Einsatzfahrzeug. Von den Feu­erwehrleuten in Gatschina wurde das neue Ge­rät einhellig begrüßt. Es verbessert die Möglich­keiten beim Brandeinsatz in der 90 000-Einwohner-Stadt deutlich. Denn bisher verfügten die Wehrleute über einen Schlauchvorrat von nur 220 Meter Länge. Martin Ehrle, Ettlingens Stadtbrandmeister, brachte zusätzlich einen Schlauchvorrat von 620 Meter Länge mit.

Den russischen Gastgebern, der Polizeipart­nerorganisation in Gatschina mit Polizeioberst Markakin und der Stadtverwaltung mit Bürger­meister Andrej Illijn, sprachen Albert Wanner und Günter Cramer für die Abwicklung des Transportes in Rußland größte Komplimente aus.

Mit Überschreiten der russischen Grenze in der Nähe der Festungsstadt Wyborg war alles zum Schutz bestens vorbereitet. Zwar konnten sie beim Zoll auch nicht mehr zur schnellen Er­ledigung beitragen als die neun Ettlinger Polizi­sten, aber dann verschafften die Polizeibegleit­fahrzeuge auf dem weiteren Weg nach Gatschi­na über Sankt Petersburg freie Fahrt.

Durch Sankt Petersburg ging es mit Blaulicht, und wo überall an Kreuzungen nötig, machte ein Außenlautsprecher den Weg frei. Obwohl die fünf deutschen Fahrzeuge und Lastwagen erst nach Mitternacht in Gatschina angekommen waren, herrschte im Milizgebäude zum Empfang Hochbetrieb. Zur Entladung der Fahrzeuge stand am nächsten Tag sogar eine kleine Einheit von 20 jungen russischen Soldaten bereit. Die Gastgeber haben nichts unversucht gelassen, in jeder Hinsicht einen guten Eindruck zu hinter­lassen. Die Ettlinger Polizisten konnten sich an vielen verschiedenen Orten persönlich überzeu­gen, daß die Waren zu den richtigen Adressaten kamen.

Besonders bewegend war der Besuch in einem großen Waisenhaus, wo 300 Kinder und Jugend­liche leben, die alles andere als vom Leben ver­wöhnt werden. In Anwesenheit der deutschen Besucher können sie die humanitäre Hilfe, jede Menge Kleidungsstücke, selbst aussuchen. 300 Plüschtiere versüßen noch den Geschenktag. Für die Heimküche haben die Deutschen außerdem Kindernahrung, Mehl, Öl und Konserven mitge­bracht.

Aus Dankbarkeit bieten die Jugendlichen ei­ner Schule, wo kurz darauf Pakete verteilt wur­den, ihren Gästen eine musikalische und tänze­rische Einlage. Begeisterung kam auf, als dann auch noch Goethes „Heideröslein“ rezitiert wurde.

„Ich glaube, wir haben mit unserer Aktion auch Zweifler überzeugt, die befürchtet haben, daß die Spenden nicht die wirklich Bedürftigen erreichen“, sagen Günter Cramer und Albert Wanner unisono. Wo immer man mit Empfän­gern wie auch Repräsentanten der Stadt und der Miliz ins Gespräch gekommen sei, habe man sich davon überzeugt, wie richtig die Entschei­dung für den Hilfstransport gewesen sei. Mit ei­nem Bündel an Dankesbriefen kehrten die Ett­linger Polizisten nach einem fünftägigen Auf­enthalt – die Lastwagen wurden von der russi­schen Miliz rund um die Uhr bewacht – aus der Ettlinger Partnerstadt zurück.