Ettlingen wird erste Stadt im Kreis mit russischem Partner

Von unserem Redaktionsmitglied
Heidi Schulte-Wal ter
Ettlingen/Bruchsal. Die Weichen sind gestellt: Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres will Ettlingen als erste Kommune im Landkreis Karlsruhe mit einer russischen Stadt die Freundschaft besiegeln, Partnerschaftsurkunden austauschen wird man mit der 80 000 Einwohner zählenden Stadt Gatschina, die in der Nähe von Leningrad liegt. Für Ettlingen ist dies dann nach Epemay, Middelkerke, Clevedon und Löbаu die fünfte „Verschwisterung“ überhaupt.
„Als ich vom Umsturzversuch in der UdSSR hörte, dachte ich zunächst, das Gatschina-Projekt könne man vorläufig oder womöglich ganz begraben“, schildert Oberbürgermeister Josef Offele die Gefühle, die er hatte, als die Umsturzbilder über den Bildschirm flimmerten. Um so glücklicher sei er nun, daß „der Spuk vorbei ist“. Hindernisse auf dem Weg zum Vertragswerk mit Gatschina sieht der Rathauschef nicht mehr. Dabei hatte es im vergangenen Jahr noch den Anschein gehabt, als werde die Verbindung Ettlingen-Gatschina nicht so rasch Zustandekommen. Wohl faßte der Gemeinderat schon 1988 den Beschluß, mit einer Stadt in der Sowjetunion Kontakte aufzunehmen, doch ließ sich diese Entscheidung nur langsam umsetzen.

Eine Arbeitsgruppe, in der sich vor allem die deutsch-russische (damals noch deutsch-sowjetische) Gesellschaft Ettlingen engagierte, machte sich Offele zufolge daran, eine geeignete Stadt in der UdSSR zu suchen. Sie sollte infrastrukturell mit Ettlingen vergleichbar sein und nicht im hintersten Ural oder Kaukasus liegen. Schließlich fiel die Wahl auf Gatschina bei Leningrad. Der Ettlinger Gemeinderat gab sein Plazet. Im Dezember 1989 bekundeten die Russen erstmals offiziell Interesse an einer Städtepartnerschaft; im Sommer 1990 sollte als Konsequenz eine Delegation aus Gatschina Ettlingen besuchen. Dazu freilich kam es nicht. „In Gatschina herrschte ein regelrechtes Kompetenzenwirrwarr“, erinnert sich Josef Offele. Der demokratische Bürgermeister Lebedew, der heute im Stadtsowjet das Sagen habe, sei noch nicht im Amt gewesen; außerdem hätten die Russen andere Vorstellungen von der Verbindung gehabt als die Verantwortlichen in Ettlingen. „Mir ging es zunächst darum, informelle Kontakte etwa auf der Vereinsebene oder der Kirchenschiene aufzubauen. Erst als zweiter Schritt sollte die Städtepartnerschaft folgen. Die Russen wollten es genau umgedreht.“
Nachdem diese Mißverständnisse ausgeräumt waren, traf im März 1991 im Ettlinger Rathaus eine offizielle Einladung nach Gatschina ein, die Offele annahm. Schon wenige Monate später, im Juni 1991, besuchte eine Abordnung aus Gatschina Ettlingen, sah sich in Schulen und sozialen Einrichtungen um. Fast zeitgleich reiste der OB seinerseits in die Stadt bei Leningrad und erfuhr dort von seinem Kollegen Lebedew, daß nicht nur der Stadtsowjet von Gatschina, sondern auch der Gebietssowjet der Volksdeputierten – die übergeordnete Instanz – hinter der Städtebeziehung stünden. „Im Oktober erwarten wir die Russen bei uns, dann werden wir den Fahrplan für die Urkundenunterzeichnung festlegen“, meint Offele. Seiner Ansicht nach trägt die Partnerschaft mit Gatschina der Überlegung Rechnung, daß Europa größer wird und schnell zusammenwachsen soll.
Ähnlich die Auffassung von Dr. Rüdiger Dierkesmann, Vorsitzender der deutsch-russischen Gesellschaft Ettlingen. Er, der sich seit Jahren für eine enge Beziehung zu einer Kommune in der UdSSR stark macht, setzt auf kulturellen Austausch einerseits und Zusammenarbeit, etwa auf medizinisch-sozialem Gebiet, andererseits. Im Herbst sei der Besuch zweier Schulgruppen in Gatschina geplant, ebenfalls im Spätjahr werde eine Ikonenausstellung der Ikonenschule Gatschina im Ettlinger Schloß aufgebaut. Geplant sei außerdem das Gastspiel eines Kindermusiktheaters in Ettlingen und Umgebung. Wie Offele will Dierkesmann dem Krankenhaus in
Gatschina helfen. „Ich denke hier nicht allein an materielle Unterstützung in Form von Spritzen, Geräten und Medikamenten. Genauso wichtig ist mir der Know-how-Transfer, also etwa der Wissenschaftleraustausch“, erklärt Dierkesmann. Vorerst eingestellt hat die deutsch-russische Gesellschaft die Lebensmittellieferungen. Nach drei Transporten gen Gatschina will sie abwarten, ob von den russischen Freunden der Wunsch nach weiteren Sendungen kommt.
Nicht soweit gediehen wie die Beziehungen zwischen Ettlingen und Gatschina sind die zwischen Bruchsal und dem weißrussischen Mogilev. Laut Oberbürgermeister Bernd Doll gibt es zwar Kontakte nach Mogilev, die auf der Aktion der deutsch-sowjetischen Gesellschaft Bruchsal „Kinder von Tschernobyl“ fußen, mehr aber auch nicht. Der Bürgermeister von Mogilev habe, so Doll gegenüber den BNN, eine Einladung an ihn ausgesprochen und sein Interesse an freundschaftlichen Beziehungen zu Bruchsal ausgedrückt. „Sollten sich die Kontakte vertiefen, könnte daraus vielleicht irgendwann eine Städtebeziehung werden“, formuliert es der Rathauschef eher vorsichtig. Er will, ermutigt durch die positive Resonanz, die der Besuch der Tschernobyl-Kinder in Bruchsal erfahren hat, auch künftig „humanitäre Hilfe, wo immer nötig“ gewähren.

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