Kindermusiktheater aus Gatschina

Einblick in die russische Welt der Musik (BNN vom 2.1.1992)

Nach einer gut zweiwöchigen Konzert-„Tournee“ durch Ettlingen gab das Kindermusiktheater „Harmonie“ aus Gatschina, das gestern die Heimreise antrat, sein Abschlusskonzert im Asamsaal. Vor den voll besetzten Rängen zeigten die jungen Künstler ihre stimmliche Bandbreite mit einem Repertoire, das einen Bogen von einfach strukturierten, lyrischen Volksweisen über geistliche Lieder und Renaissancemusik bis zu szenischen Fragmenten aus Kinderopern zog.

Dietlinde und Winfried Ecker am Bahnhof Karlsruhe mit ihren Gästen

Schüler werben singend für die Partnerschaft

Ettlingen. Zu Gast ist bis 1. Januar das Kindermusiktheater „Harmonie“ aus Ettlin­gens künftiger Partnerstadt Gatschina, unweit von St. Petersburg gelegen. Die deutsch- russische Gesellschaft hat den Chor, sieben Jungen und 18 Mädchen, zwischen 12 und 14 Jahren in Zusammenarbeit mit dem Kultur- und Sportamt der Stadt eingeladen – und dieser erste Besuch einer größeren Gruppe aus der russischen Stadt soll, so das Ziel der Initiatoren, die Basis für künftige Begegnungen schaffen.

 

Darauf hat der Vorsitzende der Gesell­schaft, Stadtrat Dr. Dierkesmann verwiesen, als er den Chor begrüßte. Dabei dankte er den Gastelten für die Bereitschaft, während der Feiertage ein Chormitglied aufzunehmen. „Die Gruppe hätte größer sein können, wir hatten noch Unterkunftsangebote“, erklärte Dr. Dierkesmann gegenüber den Badischen Neuesten Nachrichten.

Russische Lieder erklangen im Bürgersaal des Rathauses, wo Oberbürgermeister Offele den Chor begrüßte, dessen Leiterin Irina Roganova ist. Das Willkommen galt aber auch den beiden anderen Begleiterinnen, Viktoria Panicera, Deutschlehrerin an der Schule III, md der Musiklehrerin Elena Bitkina. Ihnen stellte Oberbürgermeister Offele in wenigen Sätzen die Stadt Ettlingen und ihre wechselvolle Geschichte vor, erinnerte, daß der Rhein einmal Grenzfluß gegenüber Frankreich war. Zu dem einst zum „bösen Feind“ von den Po­litikern hochstilisierten Nachbarn bestehe heute eine Freundschaft in die auch die Länder aus Osteuropa einbezogen werden müßten.

Ettlingen habe schon lange Partnerschaften mit Städten aus Westeuropa, diese Partner­schaften würden von der Jugend mitgetragen und geprägt. „Wir haben auf die Jugend ge­setzt und setzen weiter auf die Jugend, denn es gilt nun, die Kontakte mit Gatschina zu festigen.“ Als Oberbürgermeister freue er sich daher, daß es Ettlinger Schüler und nun der Jugendchor aus Gatschina sind, die Brücken der Freundschaft zwischen den beiden Städten schlagen, denn die Menschen Europas müßten enger zusammenrücken und gemein­sam die Zukunft Europas gestalten.

Als „Pioniere der Städtepartnerschaft“ zwi­schen Ettlingen und Gatschina, von den Ge­meindeparlamenten beschlossen und noch be­siegelt werden muß, bezeichnete das Stadt­oberhaupt die Mitglieder des Kindermusik­theaters „Harmonie“. Offele wünschte, daß sich möglichst viele Bürger begegnen und die Freundschaft festigen. Den Chormitgliedern und ihren drei Begleiterinnen überreichte er zur Erinnerung an den Besuch einen Bildband von Ettlingen.

Im Schulzentrum und in der Geschwister- Scholl-Schule Bruchhausen war der Chor aus Gatschina zuvor aufgetreten, hatte stürmi­schen Applaus für seine weltlichen und reli­giösen Lieder geerntet. In Bruchhausen gab es eine gesangliche Begrüßung durch den dorti­gen Schulchor, dessen Mitglieder den über­raschten russischen Freunden ein kleines Prä­sent überreichten, die sichtlich von dieser herzlichen Aufnahme überrascht waren.

Land und Leute sollen in den nächsten Ta­gen die Mädchen und Buben aus Gatschina kennenlernen, die sich in den Gastfamilien geborgen fühlen. Höhepunkt des Besuches je­doch wird am Sonntag, 29. 12., 18 Uhr im Asamsaal des Schlosses das Konzert sein, für das man wochenlang in Gatschina geprobt hat. Das Programm enthält u.a. moderne und alte geistliche Musik Petersburger Komponi­sten, aber auch Lieder westeuropäischer Mei­ster wurden einstudiert. Der Erlös ist für die Kinder- und Jugendarbeit in Gatschina be­stimmt. Den Kartenvorverkauf haben in Ett­lingen das Verkehrsamt, Schloß, das Schall­plattengeschäft Karin, Leopoldstraße, und das Musikhaus Schlaile, Marktplatz, übernommen.

BNN, 23.12.1991 Martin Karg

Lyrische Traurigkeit und heitere Vitalität bestachen

Nach einer gut zweiwöchigen Konzert-„Toumee“ durch Ettlingen gab das Kindermusiktheater „Harmonie“ aus Gatschina sein Ab­schlußkonzert am Sonntagabend im Asamsaal. Vor den vollbesetzten Rängen zeigten die jungen Künstler ihre stimmliche Bandbreite mit einem Repertoire, das einen Bogen von einfach strukturierten, lyri­schen Volksweisen, über geistliche Lieder und Renaissancemusik bis zu szenischen Fragmenten aus Kinderopern zog. Diese unter­schiedlichen musikalischen Landschaften sausten an den Ohren des Zuschauers nicht atemlos eilend vorbei, sondern bei jeder Sequenz, bei jedem Part formten die jungen Sänger unter dem Dirigat von Irina Roganova mit einer virtuos musikantischen Sicherheit neue, noch  nicht „gesehene“, Gefilde, die sich aus hochaufragenden elegischen und schwermütigen Gebirgsketten und bunten, expressiven Farbfeldern zusammensetzten und dadurch einen tiefen Einblick in die russi­sche Welt der Musik gewährten. Eine Musik, in der heute noch die alten byzantinischen Kirchentonarten den Liedern eine geheimnis­volle magische Klangwirkung geben, in der der Versbau die Rhyth­mik bestimmt.

Durch die Unbekümmertheit, Spontanität und Vitalität erhielt das Konzert eine magnetische Ausstrahlung, die durch die geschlossene Brillanz und die ausgereiften Stimmen nie in ein akustisches Loch versank oder sich auf eine nur vordergründig plakative Emotionalität stützte. Denn die sensibel ausgeleuchteten Klangfarben und die fein gemeißtelten Modulationen erhielten eine nicht überbordende Em­phase, wenn die Akteure jene von Carl Orff erstrebte Einheit von Musik, Sprache und Bewegung zeigten. Die Wiederholung von Tö­nen, Themen, Rhythmen und Bewegungsabläufen ergab ein Gesamt­kunstwerk mit einer ihm eigentümlichen, mitreißenden emotionalen Wirkung.

Ihr prall gefülltes Programm, durch das Wilhelm Zimmermann als Mittler zwischen den beiden Kunstwelten Ost und West fungierte, begann mit liturgischen und geistlichen Liedern russischer Komponisten. Bereits bei diesen kurzen Stücken zeichnete das Kindermusiktheater mit seinem Schmelz plastisch ausgestaltete Ornamente, die bei den Volksliedern von Petersburger Komponisteneinen anderen Charakter, einen veränderten Ausdruck zwischen schwermütiger Trauer und wilder Freude erhielten. Gerade bei den Volksliedern und den frischen, unverbraucht klingenden szenischen Frag­menten aus unterschiedlichen russischen Kinderopern trat eine ur­sprüngliche Kraft und ein komödiantisches, sprühendes Tempera­ment in den Vordergrund, das bei dem Ausflug in die westeuropäi­sche Musikwelt von Johann Sebastian Bach und Wilhelm Bird sowie bei den Liedern aus der Renaissance-Zeit zurückgenommen wurde. Hier berührten die Stimmen mit großer Zartheit die Werke und legten dadurch die Stille Schönheit dieser Stücke offen. Auch bei den drei Miniaturen für Querflöte und Gesang zeigte sich jenes filigrane Ele­ment jedoch mit einem veränderten Kolorit wieder. Stimmen ver­wandelten sich in abstrakte Lautfolgen und führten mit den Instru­menten einen suggestiven Dialog.

Im zweiten Teil des Konzertes, das sich hauptsächlich den Kindero­pern widmete, entwickelte das Kindermusiktheater einen mitreißen­den Strudel aus einer dynamisch breiten Fächerung und einer frechen schauspielerischen Ausdruckskraft. Jede neue Szene, sei es nun „Das Katzenhaus” mit den wild streitenden und dann versöhnlichen Tie­ren, oder der sich in seinen Beinen verheddernde „Tausendfüßler“ oder das sich in falschen musikalischen Voraussetzungen verwur­stelnde „Quartett“, entwarf ein differenziertes, wohltemperiertes und intonationssicheres Bild, das den Zuschauern eine Gesangskultur von homogenem proportionierten Zusammenklang der Stimmen of­ferierte.

Den Abschluß bildeten Stücke, die zur Weihnachtszeit gesungen werden. Sie führten nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen des Publikums in russische Dörfer, wo die alten Sitten und Gebräuche an diesen Festtagen wieder aufleben und in eine freudige, impulsive Stimmung münden. Bei diesen Werken schwappte vom Podium des Asamsaals eine Woge mannigfaltigster Ausdrucksnuancen von le­benslustigem, fröhlich heiterem Charakter und beschwingtem Ge­samtduktus über das Publikum, das dieses Konzert mit einem lang anhaltenden und Zugabe fordernden Applaus honorierte.

 

Gefühl der Freundchaft als Basis für künftige Partnerschaft

Nicht nur das Weihnachtsfest, sondern auch Silvester konnten sieben Jungen und 18 Mädchen des Kindermusiktheaters „Harmonie” aus Ettlingens künftiger Partnerschaft Gatschina, nahe bei St. Petersburg gelegen, erleben.
Die deutsch-russische Gesellschaft hatte zusammen mit dem Kultur-und Sportamt Ettlingen den Besuch des Kinderchores initiiert, um so die Fundamente für zukünftige Begegnungen zu schaffen.
Die 25 Mädchen und Jungen, die von ihrer Chorleiterin Irina Roganova, der Deutschlehrerin Viktoria Panicera und der Musiklehrerin Elena Bitkina begleitet wurden, fanden alle bei Gastfamilien ein neues Zuhause, wie es der Vorsitzende der deutsch-russischen Gesellschaft, Dr. Rüdiger Dierkesmann, bei dem Abschlußkonzert betonte. Durch dieses Zusammenleben habe sich ein Gefühl der Freundschaft entwickelt, erklärte Dr. Rüdiger Dierkesmann, das die wesentlichste Basis für eine Städtepartnerschaft sei.
Bei dem zweiwöchigen Aufenthalt standen nicht nur zahlreiche Auftritte wie im Schulzentrum, in der Geschwister-Scholl-Schule Bruchhausen und das große Abschlußkonzert im Asamsaal auf dem Programm, sondern die jungen Sängerinnen und Sänger lernten auch Land und Leute durch Ausflüge in die Region kennen, die sie zusammen mit ihren Gasteltem unternahmen.
Aber nicht nur in den Aulen erklangen russische Volksweisen, sondern auch im Bürgersaal des Rathauses, wo Oberbürgermeister Josef Offele den Chor willkommen hieß und ihm einiges über die Historie der Stadt Ettlingen erzählte. Auch auf die allmähliche Annäherung zum Nachbarn Frankreich, der über Jahrhunderte hinweg als „Feind” gegolten hat, und die heute gute Freundschaft, in die auch die Länder Osteuropas einbezogen werden müssen, ging Ettlingens Stadtoberhaupt in seiner Rede ein.

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