Wahl in Gatschina

Ist Ettlingens Paertnerstadt politikmüde?

Ettlingen/Gatschina (jcw). Aus Kreisen der russisch-deutschen Gesellschaft von Ettlingens bei Sankt Petersburg gelegenen Partnerstadt Gatschina ist aktuell ein Tag vor der mit Spannung erwarteten Wahl nichts Außergewöhnliches an politischen Aktionen oder Bewegungen zu hören. Ganz im Gegenteil, im Bild der 90 000 Einwohnerstadt ist absolut nichts zu bemerken. Keine Wahlplakate, keine Hinweise auf Kandidatenvorstellungen oder Diskussionen für die Wahlen zum russischen Förderratsrat (Länder-kammer) oder zur Staatsduma (Parlament). Das einzige Auffällige sind alltäglich langatmige Vorstellungen der Kandidaten in nationalen bzw. regionalen Fernsehprogrammen.

Abzustimmen haben am Sonntag die Bürger von Gatschina nicht nur über das Direktmandat für den Vertreter ihres Wahlkreises in der Staatsduma und den Föderationsrat, sondern auch über die von Präsident Boris Jelzin vorgelegte neue Verfassung und die Partei ihres Vertrauens für die Staatsduma. Die große Schwierigkeit für die in Demokratie noch ungeübte Bevölkerung ist nicht nur zwischen den 13 zur Wahl stehenden Parteien, sondern zwischen den demokratischen und den eindeutig faschistischen oder altkommunistischen Organisationen zu unterscheiden. Das zweite Problem ist, daß die im Wahlkreis Gatschina für die Staatsduma aufgestellten vier Kandidaten fast völlig unbekannt sind.

Nur eine Kandidatin, nämlich Salina Grigorevna  Medoeva, Vorsitzende der Kommission für städtische Selbstverwaltung beim Stadtsowjet der Volksdeputierten bekannt. Sie war im vergangenen Jahr mit bei der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde dabei. Sie wollte damals Ettlinger Firmen motivieren, in Gatschina zu investieren. In einer vagen Umfrage der Sankt Petersburger Zeitung „Smerna“ (Wechsel), befragt wurden am 28. November 1 230 Einwohner des im Wahlkreis befindlichen Leningrader Bezirks, sprachen sich 18 Prozent für die Kandidatin aus. Die größten Chancen wurden allerdings Jurij Sokolov, Vorsitzender des Stadtsowjets der Nachbarstadt Tosna (36 Prozent) und Nonna Michailovna, Bürgermeisterin der nordöstlich von Sankt Petersburg gelegenen Stadt Wolchov (26 Prozent), eingeräumt.

Völlig aus dem politischen Leben der Stadt Gatschina verschwunden ist der Vorsitzende des Stadtsowjet (Oberbürgermeister) Viktor Lebedew, der noch die Partnerschaftsurkunde mit Ettlingen unterschrieb. Er war das einzige prominente Opfer des Herbstputsches in Gatschina und mußte seine Funktion abgeben. Bei den Wahlen zum Föderationsrat gilt ein Bürger der Stadt Gatschina mit dem Namen Ledovski  –  er ist derzeit Chef der Bezirksverwaltung (Landkreis Gatschina) – als Favorit. Daß auch im westorientierten und als besonders aufgeklärt geltenden Sankt Petersburger Gebiet die demokratiewilligen Bürger nicht unbedingt in der Mehrheit sind verdeutlicht, eine andere Umfrage in Gatschina. Danach soll der Jelzin-Block „Vybor Rossi“ zwar bei etwa 35 Prozent liegen und auch der entschiedenste russische Reformblock „Jawlinski-Boldyrew-Lukin“ erhielt 19 Prozent Zustimmung. Doch die altkommunistischen, stalinistischen und nationalfaschistischen Kräfte, die von einer Wiederherstellung eines Rußland in den Grenzen der alten Sowjetunion träumen, könnten über 30 Prozent erreichen. Politikmüdigkeit grassiert: Mehr als die Hälfte der Bürger in Gatschina haben kein Vertrauen mehr in die Politik und haben die vielen leeren Versprechungen auf wirtschaftliche Besserung satt. Zur von Boris Jelzin vorgelegten Verfassung wollen 61 Prozent der Bürger von Gatschina „Ja“-Sa gen.

Bis am Montag, 13. Dezember, um 12 Uhr russischer Zeit – so die Information von gestern aus Ettlingens Partnerstadt – sollen die Stimmen für die Staatsduma ausgezählt sein.

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