Ensemble „David Goloschjokin“ – Jazznacht Spezial

Russische Gäste im Ettlinger Schloß

In der Musikkultur der ehemaligen Sowjetunion spielte seit jeher der Jazz eine bedeutende Rolle. Das breite Spektrum der Möglichkeiten, die der Jazz bietet, führte auch dort zu völlig verschiedenen Strömen. In den Zentren Moskau und Sankt Petersburg (damals Leningrad) gab es immer eine große Zahl guter Dixieland-, Swing-, Big-Band- und Mainstreamensembles, die satztechnisch perfekt in ihrem Ausdruck, aber oft steril diszipliniert blieben. Avantgardi­stische Bands, die in ihrer Musik auch inneren Widerstand gegen das Regime formulierten, for­mierten sich eher in den Randgebieten, insbe­sondere den baltischen Ländern.

David Golostchokin, heute so etwas wie der Vorzeigejazzer Rußlands, verließ Sankt Peters­burg nicht. Der Multiinstrumentalist (er spielt neun Instrumente) leitet seit nunmehr 25 Jahren ein Ensemble, das sich dem Mainstreamjazz ver­schrieben hat. Musikalisch hochstehend, aber ohne Ecken und Kanten. Das „Ensemble David Golostchokin“ spielte jetzt im Rahmen der „Jazznacht spezial“ im Epernay-Saal des Еttlinger Schlosses. Auch in Bretten gastierte es, und morgen wird es in Bruchsal zu hören sein. Der Abend, in drei Sets unterteilt, bot zusätzlich die Band „Priorat“ aus Gatschina, der Partnerstadt Ettlingens und den erst 13jährigen Alexej Wasiljew am Piano. Der junge Mann, dem das un­angenehmste eines Auftritts der Applaus zu sein schien, ist das herausragende Talent des jungen russischen Jazz. Sein selbst komponierter „Musi­kalischer Augenblick“ und Paul Desmonds „Ta­ke Five“ lassen vermuten, daß sich Wasiljew in wenigen Jahren unter den ersten Jazzpianisten etablieren wird.

Die Band David Golostchokins überzeugte im zweiten Set mit einem musikalisch hochwerti­gen Vortrag. In Golostchokins Eigenkomposition „I remember Charlie“ spielten der Bandleader auf dem Flügelhorn und Andrej Sinenko am Altsaxophon in rasanten Phrasen Soli, die an den unverwechselbaren Sound Charlie Parkers erinnern sollten. In Duke Ellingtons „Sentimen­tal Mood“ bot Sinenko den musikalischen Höhe­punkt des Abends.

Leider trat der junge Saxophonspieler im dritten Set nicht mehr auf. Golostchokins Frau Elwira Trafowa brachte an seiner Stelle Stimme in die Veranstaltung. Gut ausgebildet, allerdings mit viel zu starkem Drang zum Vibrato und et­was übersteigerter Gestik, sang sie Standards von Simons über Gershwin bis zu Nat King Co­le. Im Ettlinger Schloß kam die Darbietung der temperamentvollen Russin besonders gut an. Insgesamt bot die „Jazznacht“ unterhaltsamen Jazz der kommerziellen Art. Die treibende Mi­schung aus Swing und Bop hinterließ rundweg zufriedene Zuhörer.
BNN, Walter-Ulrich Macherauch

"Kultur live" Jazznacht spezial

Ein ganz besonderer Leckerbissen wurde mit der Jazznacht spezial in der vergangenen Woche kredenzt. Denn nicht nur, daß im Epernaysaal ein musikalisches GUS-Meeting statt- fand, sondern es wurde auch ein Heroe des russischen Jazzes mit David Golostchokin serviert, der seit über 20 Jahren in dem für Jazz mehr als bekannten St. Petersburg neben Mos­kau ein Ensemble leitet, das führend im “Mainstreamjazz“ ist« Dieses Ensemble wußte mit einer hochstehenden und äußerst präzisen Intonation, mit seiner individuellen Interpretation der Werke von Duke Ellington über Dizzy Gillespie bis zu eigenen Kompositionen des Bandleaders eine leuchtende La­sur und gepflegten Glanz zu verbreiten.

Das Feld bereitete jedoch zunächst eine andere russische Band: “Priorat“ aus Gatschina, Ettlingens Partnerstadt, zu­sammen mit dem erst 13 Jahre alten Pianisten Alexej Wasiljew. Ein Wohlgesonnensein ob des Alters benötigte dieser junge Mann nicht, der zu den herausragenden Talenten des jungen russischen Jazzes zählt. Denn sowohl seine Eigenkom­position “Musikalischer Augenblick“ ah auch Desmonds “Take Five“ bewiesen eine so hohe Reife und feinnervige Umsetzung, daß er wohl in wenigen Jahren bereits zu den ersten Jazzpianisten gehören wird.

Hatte der erste Set des Abends mit “Priorat“ einen mehr balladesken, fast elegischen Charakter wechselte mit dem “Ensemble David Golosichokin“ die Farbpalette hin zu flie­ßend strömenden, schillernd irisierenden Tönen.

Die Band zeigte gleich zu Beginn eine Souveränität der wis­senden Gelassenheit, die es aber nicht hoch- geschweige denn übermütig werden ließ. Denn bei dem sehr präzisen und sensi­blen Zusammenspiel spürte man das Abenteuer der Gruppen­dynamik. die Passion. Wer das Unberechenbare des Jazzes* d^ rotzigen Elan und die stechende Schärfe erwartet hatte, bwar nicht auf seine Rechnung, aber dafür hat diese Band andere Qualitäten kultiviert: eine hochwertige Umsetzung, eine durchsichtige Dichte, und eine nicht durch falsche Opu­lenz entstandene Intensität. Die Virtuosität drängte sich dem Ohr nicht auf, das mit einem geradlinigen und komplexen von Mühelosigkeit gezeichneten Spiel, mit Ilakonischen Klangkon­trasten und mit einer Elastizität umwoben wurde.
Auch wenn der Maestro und Multiinstrumentalist (neun In­strumente umfaßt bisher sein Repertoire) frisch und pulsie­rend in rasanten Phrasen seine Soli, sei es nun auf dem Flügelhorn oder auf der Flöte, von bestechendem Charme blies, war doch der junge Saxophonist Sinenko das unangefochtene * Highlight“ des Abends, das seinen ganzen Glanz und sein Leuchten besonders bei Duke Ellingtons “Sentimental Mood“ und bei “Cottontair entfalten und entfachen konnte. Denn diese Kompositionen waren für ihn ein “Stufenbarren“, an dem. er sich mit sicherer Eleganz ohne protzige und effekt­heischende Schnellschüsse zu einer Kür aufschwang, die in keiner Position und Lage gefährdet gewesen ist. Leicht und profund wußten Stanislaw Strelzow (Schlagzeug) und Eduard Moskalev (Bass) seine Solis zu grundieren und ihnen die rich­tige Tönung zu geben.

Sinenkos beschwörender Gesang des Saxophons wurde im dritten Set mit natürlichen Mitteln fortgesetzt. Denn die sech­ste Stimme im Ensemble war Elwira Trafowa, deren Tonlinien sich in temperamentvollem Lauf in Hohen swingten und schraubten, wo so mancher Ton zu kleinen Nadelstichen in der Ohrmuschel wurde. Waren ihre Höhen oft von einem stechenden Vibrato überlagert, besaßen ihre Tiefen einen zärtlich-kraftvollen und sinnlich-expressiven Klang.

Fast vier Stunden hatte die Jazznacht einen erfrischend süffi­gen und vitalisierend animierenden Cocktail von kraftvoller Würze geboten, den das Publikum angeregt und begeistert zu goutieren verstand.