Gedenkstunde und Kranzniederlegung

"Krieg ist dramatischer Ausdruck politischen Versagens"

Gedenkstunde zur 50. Wiederkehr des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges auf dem Bruchhausener Friedhof

Ettlingen-Bruchhausen. „1942 starben in Ettlingen vier russische Soldaten. Keine Na­men, keine Herkunft, keine Registereintra­gung, keine Todesursache bekannt, keine Zeugenaussagen. Können vier junge Kriegsge­fangene zum selben Zeitpunkt eines natürli­chen Todes gestorben sein?“ Mit dieser Frage leitete gestern auf dem Bruchhausener Fried­hof der erste Vorsitzende der Deutsch-Sowje­tischen Gesellschaft Ettlingen, Dr. Rüdiger Dierkesmann, eine Gedenkstunde mit Kranz­niederlegung anläßlich der 50. Wiederkehr des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 ein. An diesem Tag fiel die deutsche Wehrmacht über Polen her. Daß man sich einige Tage davor zum Gedenken an dieses welterschütternde Ereignis treffe, habe seine eigene symbolische Bedeutung, erklärte Dierkesmann. Kriege begännen nicht zu dem Zeitpunkt, wenn der erste Schuß falle, sie sei­en vorbereitet in den Köpfen der Menschen, dort würden sie gedacht als mögliche Alter­native zum „Nichtkrieg“. Nicht nur in den Köpfen von Staatsmännern, sondern in den Köpfen von Bürgerinnen und Bürgern.

Ein Krieg beispielsweise zwischen Frank­reich und Deutschland werde von der Bevöl­kerung beider Länder nicht mehr als möglich gedacht und sei dadurch auch agitatorisch nicht mehr vorzubereiten. Wenige Jahrzehnte hätten diese Bewußtseinsänderung bewirkt, erklärte Dierkesmann am Grabe der vier un­bekannten russischen Soldaten auf dem Bruchhausener Friedhof.

Eine der schlimmsten agitatorischen For­meln der Römer habe bis heute überdauert: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor!“ Dies solle heißen, denke den Krieg, halte ihn für eine mögliche Alternative zum Nichtkrieg. Das Grundgefühl der Men­schen, in Frieden leben zu wollen, zu essen, zu trinken, zu lieben, werde geradezu als pa­radoxer Aufhänger für genau das Gegenteil mißbraucht.

Die Aussage von Clausewitz, „Krieg sei die Fortführung von Politik durch Einmischung anderer Mittel“, erweise sich als ebenso para­dox, so Dierkesmann. Krieg sei der drama­tischste Ausdruck für das Ende und das Ver­sagen jeglicher Politik. Das Ziel von Politik müsse es sein, das wertvollste Gut „Leben“ zu erhalten. Frieden sei zu wichtig, als daß man seine Sicherung alleine Militärs und Berufs­politikern überlassen könne, fuhr Dierkes­mann fort. In diesem Sinne seien alle Men­schen aufgerufen, politisch zu sein.

In diesem Sinne und nur so verstanden sei auch die Deutsch-Sowjetische Gesellschaft Ettlingen politisch. Alle Bürgerinnen und Bürger sollten sich innerhalb oder außerhalb der Gesellschaft an dem Prozeß der Aussöh­nung mit den Völkern der Sowjetunion und dem Abbau von Vorurteilen auf beiden Seiten beteiligen. Die Zeit werde kommen, in der auch ein Krieg zwischen der Sowjetunion und Deutschland mit seinen Verbündeten in den Köpfen der Menschen nicht mehr gedacht werde.

BNN, 30.08.1989        Norbert Gysser

 

Gedenkstunde und Kranzniederlegung

Ettlingen-Bruchhausen (gys). Zum Ge­denken an den Ausbruch des Zweiten Welt­krieges vor 50 Jahren am 1. September 1939 veranstaltet die Deutsch-Sowjetische Gesellschaft Ettlingen morgen, Dienstag, 29. August, 15 Uhr, auf dem Bruchhausener Friedhof eine Gedenkstunde. Zusammen mit Oberbürgermeister Josef Offele will der erste Vorsitzende der Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft, Ettlingen, Dr. Rüdiger Dier­kesmann, am Grab von vier russischen Sol­daten, die 1942 in Ettlingen ums Leben ka­men und in Bruchhausen bestattet wurden, einen Kranz niederlegen.