Mädchenchor April gastiert in Ettlingen

Glockenreine Sopranhöhen

Von den ersten Chorsätzen bis zur letzten Zugabe des zweistündigen Konzerts glaubt man es kaum, daß es immer noch ein Schulchor, inzwischen auch Musikschulchor ist, der da singt, ein Chor von Jugendlichen. Die Kraft, Disziplin und Klangqualität dieses Ensembles erscheinen bereits professionell. Wer sieht, wie die Jugendlichen den größten Teil des umfangreichen Programmes auswendig singen und wie aufmerksam und intensiv der Blickkontakt zwischen ihnen und dem Chorleiter ist; wer hört, wie voll und rund aus dem ganzen Körper heraus der Klang von der sonoren Alt-Tiefe bis in die glockenreinen Sopranhöhen jederzeit gespannt und doch locker strömt, der kann schon ins Schwärmen geraten. Da stimmt vom Stimmsitz über die blitzsaubere Intonation bis hin zur präzisen Artikulation (in mehreren Sprachen) einfach alles.

Vor zehn Jahren wurde der Chor „April“ an der Oberschule von Nikolskoe bei St. Petersburg gegründet; er vereint heute wohl Sängerinnen aus der ganzen Region. Die stimmliche und musikalische Ausbildung liegt in den Händen der Brüder Viktor und Michail Ogorodnov – der erstere dirigiert, der zweite begleitet auf dem Klavier und gelegentlich anderen Instrumenten; die Chorerziehung basiert auf Methoden, die ihr Vater entwickelt und verbreitet hat. Das Konzert in Ettlingen ist der Zusammenarbeit der Musikschule und von Lehrern des Albert-Magnus-Gymnasiums zu verdanken, aber nicht zuletzt auch der Bereitschaft jener Familie aus der Elternschaft des AMG und dem Bürgerverein Neuwiesenreben, die junge Russinnen als Gäste beherbergt und rechtzeitig zu allen Terminen kutschiert haben.

So durfte die Zuhörerschaft, die das Kir­chenschiff von Herz Jesu gut füllte, ein ern­stes und heiteres, geistliches und weltliches, traditionelles und modernes, in jedem Falle aber hinreißendes Chorkonzert erleben. Der erste Teil des Programms brachte ausschließ­lich Russisches, zuerst geistliche und weltli­che Sätze, die ihren Höhepunkt zweifellos in der „Missa brevis“, einer Komposition aus der Feder des Chorleiters selbst aus dem Jah­re 1989, hatten. Im Stil gemäßigt modern, mit behutsamen Dissonanzen, endet das vom Klavier begleitete Werk mit der Bitte um Frieden, dem „dona nobis pacem“, in einem so verhaltenen, bescheidenen, geradezu zö­gerlichen Ton, wie er im Rußland des Jahres 1989 vielleicht nicht überzeugender hätte vorgebracht werden können.

Ein Vorspiel vom Krummhorn führte die Zuhörer sodann in die „unabsehbare Steppe“ und damit in eine Gruppe von Chorsätzen russischer Volkslieder. Das letzte vor der Pause, „Meine neue Diele“, knarrte, kneterte und sang wie eine durchgetretene alte Diele, also herzerfrischend komisch, nicht nur im Krummhorn-Vorspiel, sondern auch in den besonderen Stimmeffekten des Chores – und die Melodie war den West-Hörern vielleicht sogar bekannt: aus Strawinskys „Pe­truschka“.

Der zweite Teil des Programms brachte dann Chorsätze aus der westeuropäischen „Klassik“ mit Purcell, die Lasso, Mozart, Schein und Brahms, zumeist allerdings Lau­niges, so daß man bruchlos in die letzte Gruppe modern-folkloristischer Stücke ge­langte, die mit einem „Jubilate-Deo“-Boogie- Woogie schwungvoll endete. Und auf den be­geisterten Applaus des dankbaren Publikums gab’s auch noch drei Zugaben.